Abfall

BR/PR-Konferenz Abfallwirtschaft 2017

Abfallwirtschaft ist fit für neue Aufgaben, ver.di stellt sich den Herausforderungen.
30.05.2017
Betriebs- und Personalräte kommunaler und privater Entsorger diskutierten über Situation und Perspektiven ihrer Branche.

Es wird ruppiger in der Abfallwirtschaft. Der BDE, Arbeitgeberverband der privaten Unternehmen, ist dabei den Flächentarifvertrag zu entsorgen. Billiganbieter drängen auf den Markt und drehen an der Unterbietungsspirale bei kommunalen Ausschreibungen, die Digitalisierung stellt Betriebs- und Personalräte vor neue Herausforderungen.

GPS-Überwachung von Entsorgungsfahrzeugen und Mülltonnen mit integrierten Mikrochips machen eine nahezu lückenlose Überwachung von Beschäftigten möglich. Ehemals privatisierte Unternehmen werden wieder rekommunalisiert, aber die erhofften Verbesserungen für die Beschäftigten bleiben auf der Strecke. Und während Fremdvergaben, Outsourcing und Subunternehmerketten immer unübersichtlicher werden, verschärft sich zugleich der Kampf um die Marktanteile – in dem mittlerweile auch Investoren aus China kräftig mitmischen.

Es sind keine einfachen Zeiten für die Beschäftigten und ihre Gewerkschaft. Aber ver.di ist dabei, sich den Herausforderungen zu stellen. Das war die Botschaft der Betriebs- und Personalrätekonferenz der Abfallwirtschaft, die vom 21. bis 23. März in März in Kassel stattfand.

 
Eröffnung der BR/PR Konferenz 2017

180 Kolleginnen und Kollegen aus kommunalen und privaten Entsorgungsunternehmen waren zusammengekommen, um die Aufgaben und strategischen Ziele für die nächsten Monate zu diskutieren. Wird es in Zukunft noch einen Flächentarifvertrag für die private Entsorgungswirtschaft geben? Wenn ja – wie wird er aussehen? Wenn nicht – was machen wir dann? Wie können Kommunen dazu gebracht werden, soziale Kriterien in Ausschreibungsverfahren stärker zu verankern? Auf welche Fallstricke muss man bei Rekommunalisierungen im Bereich der Entsorgungswirtschaft achten?

»Viel zu viele Beschäftigte in der privaten Abfallwirtschaft wissen mittlerweile nicht mehr, wie sie von ihrem Lohn ihre Familien durchbringen sollen«, stellte Bundesfachgruppenleiterin Katrin Büttner-Hoppe den Ernst der Situation klar. Doch es gebe auch Entwicklungen die Hoffnung machen: »Nach einem Jahr harter Verhandlungen haben wir bei veolia eine Einigung über einen Manteltarifvertrag erreicht. « Sieben Jahre war veolia ohne Tarifvertrag – damit ist nun Schluss.

»Dass wir wieder Erfolge mit guten Haustarifverträgen in wichtigen Unternehmen haben, ist ein Ergebnis unserer bedingungsgebundenen Tarifarbeit«, unterstrich Andreas Scheidt, Bundesfachbereichsleiter Ver- und Entsorgung in seiner Ansprache an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer. »Bedingungsgebundene Tarifarbeit« – ein sperriges Wortungetüm, hinter dem eine einleuchtende Idee steckt: Wer gute Tarifverträge abschließen will, braucht aktive Mitglieder im Betrieb und einen guten Organisationsgrad. Doch so einfach, wie es klingt, ist es nicht: »Es gibt Unternehmen, da kennen die Mitglieder ihre Gewerkschaftssekretäre nicht«, gab ein  Kollege aus Sachsen zu bedenken. »Das muss sich ändern.«

Die Bedeutung von Haustarifverträgen in gut organisierten Betrieben dürfte in Zukunft noch zunehmen, wie Sylvi Krisch, Tarifkoordinatorin für die private Abfallwirtschaft darlegte. Die Arbeitsbedingungen in der Branche driften weit auseinander, der Flächentarifvertrag mit dem privaten Arbeitgeberverband ist weitgehend ausgehöhlt, seine frühere Bedeutung als positiver Referenzwert für die Branche geht mehr und mehr verloren. Zugleich ist ver.di nur in wenigen Unternehmen gut organisiert – umso wichtiger sei es, diese zu »Leuchtturmprojekten der Tarifarbeit« zu machen.

Wie das gelingen kann, diskutierten Kolleginnen und Kollegen in verschiedenen Workshops, neben anderen wichtigen Handlungsfeldern wie Digitalisierung, psychische Belastung am Arbeitsplatz oder die Einführung einer »Branchenregel« der Unfallversicherung. »Die Themenauswahl ist gelungen«, sagte Oliver Dziuba, Betriebsratsvorsitzender der Frankfurter FES, »und es ist eine gute Gelegenheit, Erfahrungen mit anderen Kolleginnen und Kollegen der Branche auszutauschen.« Mit dieser Einschätzung stand er nicht allein. Es wird nicht einfacher, aber die Kolleginnen und Kollegen der Fachgruppe Abfallwirtschaft, haben die Tage in Kassel genutzt, sich fit zu machen für die kommenden Aufgaben.

 
BR/PR Konferenz Abfallwirtschaft

Die Bedeutung von Haustarifverträgen in gut organisierten Betrieben dürfte in Zukunft noch zunehmen, wie Sylvi Krisch, Tarifkoordinatorin für die private Abfallwirtschaft darlegte. Die Arbeitsbedingungen in der Branche driften weit auseinander, der Flächentarifvertrag mit dem privaten Arbeitgeberverband ist weitgehend ausgehöhlt, seine frühere Bedeutung als positiver Referenzwert für die Branche geht mehr und mehr verloren. Zugleich ist ver.di nur in wenigen Unternehmen gut organisiert – umso wichtiger sei es, diese zu »Leuchtturmprojekten der Tarifarbeit« zu machen.

Wie das gelingen kann, diskutierten Kolleginnen und Kollegen in verschiedenen Workshops, neben anderen wichtigen Handlungsfeldern wie Digitalisierung, psychische Belastung am Arbeitsplatz oder die Einführung einer »Branchenregel« der Unfallversicherung. »Die Themenauswahl ist gelungen«, sagte Oliver Dziuba, Betriebsratsvorsitzender der Frankfurter FES, »und es ist eine gute Gelegenheit, Erfahrungen mit anderen Kolleginnen und Kollegen der Branche auszutauschen.« Mit dieser Einschätzung stand er nicht allein. Es wird nicht einfacher, aber die Kolleginnen und Kollegen der Fachgruppe Abfallwirtschaft, haben die Tage in Kassel genutzt, sich fit zu machen für die kommenden Aufgaben.

 

  • Zur Tarifsituation in der privaten Entsorgung - ein Interview mit Sylvi Krisch

    »Wenn es kein verbessertes Angebot gibt, gehen wir in den Häuserkampf«

    Private Abfallwirtschaft: Die Tarifverhandlungen mit dem BDE sind an einem Wendepunkt. Dass völlig inakzeptable Angebot unterhalb des Inflationsausgleichs zeigt: Die Arbeitgeber haben die Tarifpartnerschaft de facto gekündigt. Interview mit Sylvi Krisch.

    Sylvi Krisch ist ver.di-Tarifkoordinatorin für die private Abfallwirtschaft

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    Die Tarifverhandlungen mit dem BDE scheinen festgefahren, das letzte Angebot der Arbeitgeber wurde von der Bundestarifkommission als unannehmbar bezeichnet. Wird es in Zukunft überhaupt noch einen Flächentarifvertrag für die private Abfallwirtschaft geben?Der BDE hat in der letzten Verhandlungsrunde eine Entgelterhöhung von 1,7 Prozent angeboten, von den allerdings einmal die Erhöhung der Auszubildendenvergütungen abgezogen werden sollen sowie die Streichung der Vergütungsgruppe 1. Damit blieben unter dem Strich ca. 0,9 – 1 % tatsächliche lineare Entgelterhörung. Das wäre nicht mal ein Inflationsausgleich und mit Wertschätzung für die geleistete Arbeit der Kolleginnen und Kollegen hat das nichts zu tun. Das ist für uns nicht akzeptabel. Man sieht daran, dass sie uns als Tarifpartner nicht ernst nehmen. Wir müssen uns fragen, ob wir einen derartigen Umgang zulassen können

     Der Streit geht also vor allem um Entgelt-Prozente?

    Nein, nicht nur. Unsere eigentliche Forderung bezieht sich auf eine Volumenforderung von 6%, also die Forderung nach einer Strukturveränderung. In diesem Tarifvertrag finden sich Regelungen, die als nicht mehr zeitgemäß zu bezeichnen sind.diesem niedrigen Entgelt und Strukturniveau finden sich auch noch zahlreiche betriebliche Abweichungen zulasten der Beschäftigten, vor allem bei der Arbeitszeit. Der BDE-Tarifvertrag ist also schon extrem ausgehöhlt, so dass sich die Frage stellt: Welche Bedeutung hat er als Flächentarifvertrag überhaupt noch? Viele BDE-Unternehmen sind OT-Mitglieder, also »Mitglieder ohne Tarifbindung«. Der BDE hat diese Form der Mitgliedschaft vor ein paar Jahren eingeführt, um wieder mehr Unternehmen in den Verband zu bekommen. Das hat aber nicht dazu geführt, dass der Tarifvertrag in der Fläche verstärkt angewandt wird.

    Auf der Konferenz der Betriebs- und Personalräte der Abfallwirtschaft im März in Kassel wurde deutlich, dass das Problem der nicht vorhandenen Aufstiegsmöglichkeiten in den Entgeltstufen  vielen auf den Nägeln brennt.Vor fünf Jahren sind wir dem BDE entgegengekommen und haben die Stufensteigerungen für Neueinstellungen ausgesetzt. Die Hoffnung war damals, dass man auf diese Weise Leiharbeit und Fremdvergaben über Werkverträge eindämmen könnte. Die Folge war aber, dass seither Neueingestellte in ihrer Entgeltstufe verbleiben und  innerhalb ihrer Vergütungsgruppe nicht mehr aufsteigen können. Wir wollen das ändern, aber es gibt beim BDE null Bereitschaft, die nötigen strukturellen Veränderungen einzuleiten.

    Wie viele Beschäftigte unterliegen dem BDE-Tarifvertrag?

    Das ist schwer zu sagen. Wir haben 160 000 Beschäftigte in der privaten Abfallwirtschaft, aber die Unternehmensstrukturen sind sehr unübersichtlich. Es gibt innerhalb ein und derselben Unternehmensgruppen Betriebe, die der Tarifbindung unterliegen, andere, die sich daran nur anlehnen, andere, die Haustarifverträge haben und wieder andere, die völlig tariflos sind. Selbst die großen Mitgliedsunternehmen des BDE wenden den BDE-Tarifvertrag nicht stringent an.

    Was sind eure Hauptforderungen? 

    Wir wollen ein deutlich verbessertes Angebot zu einer tabellenwirksamen Entgelterhöhung und strukturelle Verbesserungen bei den Verbesserungsmöglichkeiten innerhalb der Entgeltstufen. Ein Abschluss ohne das Wiedereinsetzen der Stufensteigerung ist für uns nicht akzeptabel.

    Wie wird es jetzt weitergehen?

     Wir wollen gute Flächentarifverträge, aber wenn das nicht geht, müssen wir uns fragen: Ist ein schlechter Tarifvertrag wirklich besser als gar keiner? Ich glaube nicht. Denn ein schlechter Tarifvertrag hat auch eine Wirkung: Man schafft damit einen Referenzwert, der sehr niedrig liegt und bei jeder neuen Tarifrunde in der Branche fällt uns das negativ auf die Füße. Deshalb hat die Bundestarifkommission entschieden: Wenn es kein verbessertes Angebot hinsichtlich realer Entgeltsteigerung und Wiederinkraftsetzung der Stufensteigerung gibt, werden wir in den Entgeltverhandlungen mit dem BDE nicht mehr an den Verhandlungstisch zurückkehren und in Häuserkämpfe gehen. Ich hoffe natürlich, dass der BDE sich besinnt und ein verbessertes Angebot vorlegt. Wenn nicht, gehen wir die Sache über Haustarifverhandlungen in den gut organisierten und kampfstarken Betrieben an.

     

  • Rekommunalisierung, aber richtig

    Städte und Gemeinden nehmen Daseinsvorsorge wieder verstärkt eigene Hände – aber manchmal das nur eine Mogelpackung.

    Die gute Nachricht zuerst: Die Privatisierungswelle in der öffentlichen Daseinsvorsorge, die die ersten Jahre nach der Jahrtausendwende beherrschte, scheint gestoppt. Sogar eine Trendwende ist nachweisbar: 141 Stadtwerke wurden im Zeitraum 2007 bis 2015 neu gegründet. Deutlich ist die Neuausrichtung auch in der Abfallwirtschaft: Wurden 2003 noch 64 Prozent des Restmülls in Deutschland von privaten Unternehmen gesammelt, waren 2015 nur noch 54 Prozent. Noch drastischer im Osten der Republik: Hier stieg der Marktanteil der kommunalen Entsorger von 42 Prozent im Jahr 20016 auf 60 Prozent im vergangenen Jahr – das Verhältnis von privaten und kommunalen kehrte sich praktisch um. Eine »echte Rekommunalisierungswelle« habe es in den letzten zehn Jahren gegeben, so Kristian Kassebohm, Geschäftsführer der Abfallentsorgungsgesellschaft des Märkischen Kreises mbH.

    Die schlechte Nachricht ist: Rekommunalisierung ist kein Allheilmittel. Weder führt sie automatisch zu sinkenden Gebühren noch verbessert sie zwangsläufig die Arbeitsbedingungen und Entgeltsituation der Beschäftigten. Und manchmal ist dort, wo »Rekommunalisierung« draufsteht, in Wahrheit nur das nächste »Public Private Partnership«-Projekt verpackt. 

    Ein »trauriges Beispiel«, wie es Kassebohm nennt, ist Bremen: Im Sommer vergangenen Jahres kündigte der dortige rot-grüne Senat an, ab 2018 die vor Jahren privatisierte Müllabfuhr und Straßenreinigung wieder in die eigene Hand zu übernehmen. »Gebührenstabilität«, »Tarifbindung« und »perspektivisch eine vollständige Rekommunalisierung« versprach die Landesregierung. Die Realität sieht allerdings anders aus:  Inzwischen ist klar, dass mit »Tarifbindung« nicht etwa der TVöD gemeint war. Auch nach 2018 wird es nach dem Willen des Senats eine Zweiklassengesellschaft im Unternehmen geben: Für einen Teil der Belegschaft soll der TVöD gelten, für den Rest der deutlich schlechtere BDE-TV. Damit wäre Bremen die erste Großstadt der Bundesrepublik, die in einem öffentlichen Entsorgungsunternehmen den BDE-TV anwendet.

    Aber handelt es sich überhaupt um ein öffentliches Unternehmen? Bernd Hillmann, Betriebsratsvorsitzender des Entsorgers ENO, bestreitet das. »Das ist keine Rekommunalisierung, sondern eine Mogelpackung«, sagt der Gewerkschafter. Das Konstrukt ist in der Tat windig: Straßenreinigung und Müllabfuhr sollen von Tochterfirmen erbracht werden, in denen die Stadt nur eine Minderheitsbeteiligung hat – »kommunalisiert« wird nur die die Anstalt öffentlichen Rechts sein, die als eine Art Holding über dem mehrheitlich privaten Unternehmensgeflecht schwebt. Und wer der »private Partner« sein soll, der ab 2018 mitmischt, pfeifen in Bremen die Spatzen von den Dächern: die Firma Nehlsen, dieselbe, die im Stadtstaat seit 1998 für die Müllentsorgung zuständig ist.

     

  • Branchenbild der deutschen KreislaufwirtschaftStoffströme –Umsätze –Arbeitsplätze –Export -Zukunftsaufgaben

  • Ausschreibung von Entsorgungsdiensten - nur mit guten Lohn- und Arbeitsbedingungen

    Gutachten im Auftrag von ver.di bestätigt: Kommunen sind auf der sicheren Seite, wenn sie soziale Kriterien vorgeben

    „Ich möchte ja gern, aber leider geben das die Ausschreibungsbedingungen nicht her.“ Diesen Satz hören viele Kolleginnen und Kollegen insbesondere in der Entsorgungsbranche, wenn sie einfordern, dass ihre Kommune bei der Ausschreibung von Recyclingdiensten  oder auch der öffentlichen Müllabfuhr Tariflöhne und angemessene Arbeitsbedingungen zur Auflage macht.

    Schutzbehauptung oder eine nicht wegzudiskutierende Tatsache? Die Gewerkschaft ver.di hatte bereits 2006   die Berliner Rechtsanwaltskanzlei Gaßner, Groth, Siederer & Coll. gebeten,  einmal genauer nach  zu schauen, welche Möglichkeiten der Gesetzgeber im Vergaberecht bietet, damit die Beschäftigten nicht die Leidtragenden eines gnadenlosen Wettbewerbs um den niedrigsten Preis werden, mit dem die privaten Entsorgungsunternehmen konkurrieren. Bereits damals hatten die Gutachter dargelegt, dass es  – selbst zu Hochzeiten der Wettbewerbsideologie - zahlreiche Möglichkeiten gab,  soziale Kriterien in die Vergabeverfahren einzubringen. Doch blieb damals ein Rest an Unsicherheit, ob derartige Regelungen vor den Gerichten Bestand hätten.

    „Mittlerweile hat sich die rechtliche Ausgangslage für die Absicherung einer leistungsgerechten Vergütung in Ausschreibungen deutlich zugunsten der sozialadäquaten Vergabe geändert. Diese Rechtsentwicklung ist maßgeblich von der europäischen Union vorangetrieben worden. Motor war bis zur Novelle 2014 die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, ab dem Jahr 2014 die Novelle der EU-Vergaberichtlinien,“ stellen jetzt, 2017, die Rechtsanwältin Caroline von Bechtolsheim und Gabriel Babel in ihrem Folgegutachten fest. 2016 hat der deutsche Gesetzgeber diese Regelungen übernommen. Seitdem gilt:  Kommunen, die auskömmliche Lohn- und Arbeitsbedingungen vorschreiben wollen, wird ein breiterer Spielraum eingeräumt.  „Das derzeitige Vergaberecht lässt es ausdrücklich zu,  im Ausschreibungsverfahren soziale und ökologische Bedingungen vorzuschreiben.“

    Die beiden Vergaberechtsexperten sind Verfasser des Gutachtens „Handlungsspielräume öffentlicher Auftraggeber bei der Verankerung von Vergütungskriterien in Vergabeunterlagen bei europaweiten (Entsorgungs-) Ausschreibungen,“ das sie Anfang 2017 im Auftrag von ver.di vorgelegt haben. Sie haben dabei akribisch nachgewiesen, dass Kommunen vielfältige Möglichkeiten haben, rechtssicher zu vermeiden, dass ein „billiger Jakob“ den Zuschlag für die Entsorgung in  ihrem Verantwortungsbereich bekommen.

    An zwei zentralen Stellen des Vergabeverfahrens  kann die ausschreibende Stelle eingreifen, um Lohndumping zu verhindern. Zunächst mal gilt ohne wenn und aber der gesetzliche Mindestlohn, bisher der Branchen-Mindestlohn von 9,10 Euro pro Stunde. Und auf alle Fälle gilt der allgemeine, gesetzliche Mindestlohn, der allerdings geringer ausfällt. Der ist Gesetz, und wer den nicht zahlt, verstößt dagegen und darf von Anfang an gar nicht mit bieten. Aber es besteht auch die Möglichkeit, schon in den Mindest- oder Ausführungsbedingungen höhere Löhne festzulegen, wenn sie in geltenden Tarifwerken für die Entsorgung vereinbart sind – jedenfalls für diejenigen Arbeitnehmer, die für den Auftrag abgestellt werden und eine grenzüberschreitende Entsendung von Arbeitnehmern unwahrscheinlich ist. Und zweitens  können die Kommunen jetzt auch  am Ende, bei der Beurteilung der eingegangenen Angebote, bei den sogenannten Zuschlagskriterien, positiv werten, wenn Anbieter auskömmliche Löhne zahlen – und ihnen selbst dann den Zuschlag erteilen, wenn sie nicht am billigsten sind.

    Reinhard Klopffleisch / Katrin Büttner-Hoppe

     

  • Verankerung von Entlohnungskriterien bei europaweiten Ausschreibungen im Entsorgungsbereich

    Was müssen Kommunen beachten, um auskömmliche Löhne durchzusetzen? 

    In der aktuellen europäischen (aus dem Jahr 2014) und deutschen Gesetzgebung (aus dem Jahr 2016) zum Vergaberecht sind umfassende Regelungen enthalten, wie die Vergabestellen, also in der Regel die Kommunen, soziale und ökologische Kriterien rechtssicher in den Ausschreibungsverfahren verankern können. Die Berliner Rechtsanwälte und Vergaberechtsexperten Caroline von Bechtolsheim und Gabriel Babel haben sie in ihrem Gutachten für ver.di (siehe auch Seite 1) vom Februar 2017 akribisch nachgewiesen.

    In der Novelle der EU-Vergaberichtlinien von 2014 wird „in deutlich größerem Umfang als bisher,“ so die Gutachter, „auf eine in der Gesamtschau „wirtschaftliche“ Vergabe orientiert.“ Letztlich entscheidend ist mithin nicht mehr allein der Angebotspreis, sondern ergänzend können auch „Umweltkriterien der Nachhaltigkeit und Ökoeffizienz, aber auch erstmals ausdrücklich soziale Kriterien“ einbezogen werden. Im Jahr 2016 kam es in Umsetzung dieser Richtlinien dann zu umfassenden vergaberechtlichen Neuregelungen im 4. Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und einer neuen Vergabeverordnung (VgV) sowie einer angepassten Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen (VOL/A).

    Danach können soziale Kriterien jetzt unbestritten ins Vergabeverfahren Einzug halten, und zwar im Wesentlichen am Anfang, bei den Mindest- oder Ausführungsbedingungen, die mögliche Bieter zu erfüllen haben, wenn sie sich bewerben, sowie erstmals auch am Ende, bei den Zuschlagskriterien, nach denen die Vergabestelle die eingegangenen Angebote bewertet und anschließend den Zuschlag erteilt.

    Mindest- und Ausführungsbedingungen

    Schon nach dem Gesetz mussten Entsorgungsunternehmen, auch wenn sie nicht tarifgebunden sind, den Beschäftigten den branchenspezifischen Mindestlohn zahlen, zur Zeit 9,10 Euro die Stunde. Wer weniger zahlt, machte sich strafbar, und kann  damit gleichsam automatisch vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden. Unabhängig davon kann eine Kommune diese gesetzliche Pflicht noch einmal im Vertrag festschreiben. Das hat den Vorteil, dass sie bei etwaigen Verstößen nicht darauf warten muss, bis der bei Verstößen zuständige Zoll einschreitet, sondern selbst den Vertrag kündigen kann. Gibt es keinen branchenspezifischen Mindestlohn mehr, gilt der allgemeine gesetzliche Mindestlohn, der allerdings niedriger ausfällt.

    Möglich ist auch, dass Kommunen ein höheres Niveau vorgeben wollen, beispielsweise den in der privaten oder öffentlichen Entsorgung jeweils geltenden Tarifvertrag zur Grundlage nehmen wollen. „§ 128 Abs. 2 GWB lässt von seiner Formulierung her den Schluss zu, dass auch ein solches Vorhaben vergaberechtlich zulässig sein kann,“ urteilen von Bechtolsheim und Babel,  weil die Kommunen auch  besondere Ausführungsbedingungen festlegen können, wenn diese „mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung“ stehen. Die Gutachter raten entsprechend dazu, diese Bezahlung nicht für alle Arbeitnehmer des Bieters zu fordern, sondern nur für diejenigen „die zur Ausführung des ausgeschriebenen Auftrags eingesetzt werden sollen.“ Dies sollte auch sicher stellen, dass die grundgesetzlich garantierte Koalitionsfreiheit nicht tangiert ist: Der Bieter kann für den Rest seiner Beschäftigten weiterhin den Tariflohn frei aushandeln. Wenn der Auftrag „wahrscheinlich oder naheliegend“ nur von in Deutschland beheimateten Arbeitnehmern ausgeführt werden wird, liegt auch kein Verstoß gegen die Europäische Entsenderichtlinie 96/71 vor.

    Zuschlagskriterien

    Und wenn die Kommune darauf verzichtet hat, ein höheres Niveau als den Mindestlohn vorzuschreiben, aber feststellt, dass einige der Bieter Mindestlohn zahlen, ein anderer aber den höheren Tariflohn, und damit bei ansonsten ähnlichen Kostenstrukturen einen höheren Preis verlangen muss als die anderen ? Auch dann ist seit 2014 nicht aller Tage Abend. Denn „erstmals wird in der  EU-Vergabekoordinierungsrichtlinie 2014/24 und dem dortigen Art. 67 die Anwendung sozialer Zuschlagskriterien ausdrücklich für zulässig erklärt und damit betont,“ wie die Gutachter festgestellt haben. Dies ist  umgesetzt in deutsches Recht in dem § 127 Abs. 1 Satz 4 GWB sowie dem § 58 Abs. 2 Satz 2 VgV.  „Kommunen als öffentliche Auftraggeber können also – als Alternative zur verbindlichen Vorgabe eines Lohnniveaus für die zur Auftragserfüllung einzusetzenden Arbeitnehmer – die  (möglichst hohe) Vergütung derselben zum Zuschlagskriterium machen“ und entsprechend gewichten, neben Angebotspreis und Umweltkriterien. Die Vergabestelle sollte dann allerdings „möglichst ein exaktes und transparentes Bewertungsraster erarbeiten, das den Vergabeunterlagen beigefügt wird.“ Dann können die Bieter von vorneherein abschätzen, wie sich die Höhe ihrer Entlohnung bei der Frage, ob sie den Zuschlag bekommen können, positiv oder negativ  auswirken wird. Das vermeidet, dass die Kommune „Probleme bei der Angebotswertung“ bekommen kann, sollten Unternehmen, die leer ausgegangen sind,  gegen die Entscheidung vorgehen wollen. 

    In einer die Ergebnisse des  Gutachtens umsetzenden Handlungsanleitung  „Argumentationspapier und Formulierungsvorschläge zur Verankerung von Entlohnungskriterien bei europaweiten Ausschreibungen im Entsorgungsbereich“ machen die Gutachter konkrete Vorschläge, wie Kommunen Schritt für Schritt bei der Vergabe vorgehen können. Damit existiert ein in sich stimmiges Konzept, das ver.di den Kommunen an die Hand geben kann - im Sinne der Beschäftigten. Beide Papiere mussten nach dem Scheitern der Verhandlungen um den branchenspezifischen Mindestlohn noch überarbeitet werden, sind aber demnächst  im Internet unter www.verdi.de erhältlich. Wir werden darauf gesondert hinweisen!

    Reinhard Klopffleisch / Katrin Büttner-Hoppe

     

  • Rechtsanwältin Caroline von Bechtolsheim - Vergütungskriterien bei der Vergabe

  • Digitalisierung - Präsentation und Auszüge aus dem Workshop