Im Rheinischen Revier werden in den nächsten Jahren Tausende Jobs im Braunkohlebergbau und in Kraftwerken verschwinden. Beschäftigte sehen sich mit der Herausforderung konfrontiert, neue berufliche Perspektiven zu entwickeln, oft in Branchen, die im Revier bisher weniger präsent sind, wie erneuerbare Energien oder nachhaltige Technologien. Gewerkschaften arbeiten an Lösungen, um einen sozialverträglichen Übergang zu gewährleisten, der Qualifizierungsprogramme und Arbeitsplatzsicherung umfasst.
Ein Interview des Magazins report zum Thema
Das Land Nordrhein-Westfalen will bis 2030 komplett aus der Kohleverstromung aussteigen. Welche Herausforderungen stellen sich dadurch für das Rheinische Braunkohlerevier aus Sicht von ver.di?
Birgit: Das Rheinische Revier zieht sich über mehrere ver.di-Bezirke. Wir wollen den Ausstieg so begleiten, dass niemand von unseren Mitgliedern auf der Strecke bleibt. Eine sehr große Herausforderung für uns ist es, dass der Kohleausstieg in NRW auf 2030 vorgezogen wurde. Der Strukturwandel muss also viel schneller zum Erfolg gebracht werden als ursprünglich geplant. Wir setzen uns dafür ein, dass die Menschen, deren Arbeitsplätze wegfallen oder sich stark verändern, unterstützt werden, z. B. durch Qualifizierung. Wir wollen, dass gute tarifgebundene Arbeitsplätze mit einer langfristigen Perspektive entstehen.
Zu einem erfolgreichen Strukturwandel gehört es auch, die Infrastruktur so zu entwickeln, dass eine umfassende Daseinsvorsorge gewährleistet ist. Dazu gehören z. B. eine gute Gesundheitsversorgung, Einkaufsmöglichkeiten, Kita-Plätze, Kultur, öffentlicher Nahverkehr – alles, was eine Region lebenswert macht.
Dominik: Wir haben im Bezirk Linker Niederrhein das Projekt „Lebenswerte Stadt“ auf den Weg gebracht. Damit wollen wir in der öffentlichen Diskussion die Frage thematisieren: Was braucht es eigentlich dafür? Was sind die Anforderungen unserer Kolleginnen und Kollegen?
Und wir haben natürlich große tarifpolitische Herausforderungen vor uns. Unsere Region hat sich zu einem Logistikcluster entwickelt, da gibt es noch viel zu verbessern. Tarifbindung sollte auch ein Kriterium bei der Ansiedlungspolitik sein.
Kay: Nachwuchsgewinnung für den öffentlichen Dienst ist auch ein Transformationsthema, und dazu kommt das Thema Kommunalfinanzen. Die Kommunen müssen in der Lage sein, eine moderne Daseinsvorsorge zu bezahlen. Wir brauchen bezahlbaren Nahverkehr, da ist noch viel Klärungsbedarf. Um diese Themen anzupacken, ist Kooperation über Gewerkschaftsgrenzen hinweg unverzichtbar. Gut, dass wir mit dem Büro Revierwende und dem DGB starke Player haben.
Jörg, welche Ansatzpunkte hat der DGB, um den Prozess zu beeinflussen?
Jörg: Wir haben zusammen mit dem Büro Revierwende die „AG Rheinisches Revier“ gegründet, in der wir uns regelmäßig treffen und unter den DGB-Mitgliedsgewerkschaften austauschen. Wir laden uns auch interessante Referent*innen ein. Für die nächste Sitzung haben wir den Tech-CEO von Microsoft dabei.
Microsoft will in Bergheim ein riesiges Rechenzentrum bauen. Der Spatenstich soll schon im Oktober gemacht werden...
Jörg: Genau, und der Tech-CEO stellt uns vor, was sie planen, welche Fachkräfte sie brauchen und wie sie sich in der Region verankern wollen.
Wir haben auch Einfluss darauf genommen, dass die Förderverfahren der Zukunftsagentur Rheinisches Revier (ZRR) vereinfacht und beschleunigt wurden und man mit den Antragsteller*innen frühzeitig in einen Dialog eintritt. Die ZRR ist für die Koordinerung der Strukturförderungsanträge zuständig. Dem Rheinischen Revier stehen 14 Milliarden Euro an Strukturmitteln zur Verfügung, um den Wandel zu gestalten.
Wie bewertet ihr es, dass das Land NRW den Kohleausstieg von 2038 auf 2030 vorgezogen hat?
Birgit: Klimapolitisch ist das gut begründet, andererseits gibt es Lebensperspektiven von Menschen, die sich dadurch radikal verändert haben. Mit dem Vorziehen auf 2030 sind logischerweise noch zusätzliche Jahrgänge betroffen. Da gab es durch den zuständigen Fachbereich einiges nachzuverhandeln, was für die Kolleginnen und Kollegen bei RWE sehr gut gelungen ist.
Dominik: Das meine ich auch. Wo man sich mehr Sorgen machen muss, ist bei den Zulieferern. Dort haben die Kolleginnen und Kollegen kein Anpassungsgeld bekommen. Anders als die direkt Beschäftigten von RWE, die das Recht haben, schon mit 58 Jahren und unter Ausgleich der Rentenabschläge in den vorzeitigen Ruhestand zu wechseln. Oder bei kleinen Mittelständlern, die vielleicht nicht den strategischen Weitblick haben wie ein RWE-Konzern und sich erst mal neue Geschäftsfelder suchen müssen.
Kay: In gewisser Weise ist die Stadt Aachen Gewinner dieser Transformation, weil sehr viel Wissenschaftsförderung in die Technische Fachhochschule der Stadt fließt, wo es etwa um erneuerbare Energien und Wasserstofftechnologie geht. Und das hat schon eine Strahlwirkung und wird wahrgenommen in der Region, dass es da auch eine positive Veränderung gibt.
Was bedeutet der vorgezogene Ausstieg mit Blick auf die Energieversorgung der Region?
Jörg: Eine weitere Herausforderung ist definitv, dass wir mit dem vorgezogenen Kohleausstieg viel früher Energiekapazitäten aus dem System herausnehmen. Wir müssen diese Lücke jetzt durch einen schnelleren Ausbau der Erneuerbaren schließen, um die energieintensive Industrie, die sich im Rheinischen Revier angesiedelt hat – Aluminiumhütten, Chemiefabriken usw. – vor Ort zu halten. Energie hat sich nach dem unsäglichen Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine nochmal deutlich verteuert, und das war vorher in die Debatte um den Kohleausstieg eben nicht eingepreist. Ökologisch ist das sicher sinnvoll, aber es hat eben verschiedene Aspekte, die man berücksichtigen muss, damit der Ausstieg vernünftig gelingt.
Wo gibt es aus eurer Sicht weitere Ansatzpunkte für gewerkschaftliches Handeln – vielleicht auch jenseits von Tarifpolitik und Lobby- oder Gremienarbeit ?
Jörg: Wir haben zum Beispiel mal mit der DGB-Jugend und dem Büro Revierwende eine Veranstaltung zum Thema „Jugend und Strukturwandel“ auf die Beine gestellt. Wie sehen eigentlich junge Menschen die Zukunft des Reviers? Was wünschen sie sich, was sollten Politik und Wirtschaft aus ihrer Perspektive anpacken?
Nicht dass wir mit solchen Initiativen am großen Rad drehen, aber wir kommen mit neuen Zielgruppen ins Gespräch und bleiben nicht immer nur unter uns, mit unseren Betriebsräten und Vertrauensleuten. Einfach mal unsere Ideen ein bisschen breiter streuen, das ist schon mal was. Auf die Bürgerinnen und Bürger zugehen, ihnen erklären: Was passiert denn in diesem Strukturwandel? Ihnen vielleicht auch ein paar Erfolge nahebringen, nach dem Motto: Nur weil jetzt keine Braunkohle mehr gefördert wird, musst du keine braunen Parteien wählen.
Wenn wir zusammenhalten, können wir die Zukunft des Reviers mitgestalten.
Das Gespräch führte Johannes Schulten.
Das Büro Revierwende ist eine Initiative des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), die den Strukturwandel im Rheinischen Revier aus Arbeitnehmersicht begleitet. Ziel des Büros ist es, die Interessen der Beschäftigten in den Transformationsprozessen zu vertreten und einen gerechten Wandel zu fördern. Es koordiniert Maßnahmen zur Arbeitsplatzsicherung, Qualifizierung und Umschulung und setzt sich für die Schaffung neuer, zukunftsfähiger Arbeitsplätze in der Region ein. Das Büro Revierwende arbeitet eng mit ver.di, IG BCE, IG Metall und anderen regionalen Akteuren, Unternehmen und Politik zusammen, um sicherzustellen, dass der Wandel sozialverträglich und nachhaltig gestaltet wird.
Die Zukunftsagentur Rheinisches Revier ist eine zentrale Institution zur Steuerung des Strukturwandels in der Region. Sie wurde gegründet, um die Transformation vom Braunkohlerevier hin zu einer zukunftsfähigen Wirtschaftsregion aktiv zu gestalten. Die Agentur koordiniert Projekte in Bereichen wie erneuerbare Energien, nachhaltige Industrie, Digitalisierung und Bildung. Sie verwaltet Fördermittel, unterstützt regionale Akteure bei der Umsetzung von Projekten und sorgt für den Dialog zwischen Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft. Der DGB ist in der Gesellschafterversammlung und im Aufsichtsrat vertreten.
Als Mitglied genießen Sie alle Vorteile unserer großen Organisation und die Solidarität von mehr als zwei Millionen Kolleginnen und Kollegen.
ver.di ist eine starke Organisation aus knapp 2 Mio. Menschen, die sich zusammengefunden haben, um ihre Interessen durchzusetzen. ver.di finden Sie vor Ort und in Betrieben. Wir machen uns stark für Arbeitnehmerrechte, verhandeln Tarifverträge und setzen die Interessen unserer Mitglieder politisch durch.
ver.di sein heißt, sich gegenseitig helfen und unterstützen. Aus diesem Engagement der einzelnen Mitglieder zieht ver.di seine Stärke. Und dieses Netzwerk der Vielen bietet für jeden Einzelnen ganz praktische große und kleine Vorteile: im Job und darüber hinaus.
Wir unterstützen Arbeitnehmer/innen dabei, ihre Interessen und Rechte durchzusetzen. Und sollten Sie sich einmal nicht mehr selbst helfen können, vertreten wir Sie gerne ... im Zweifel durch alle Instanzen.
In ver.di organisieren sich Menschen aus über 1000 Berufen, die in unterschiedlichen Lebenssituationen stecken. Sie alle finden in ver.di einen kompetenten Ansprechpartner. Genauso vielfältig ist unser Service. Spezielle Angebote gibt es z.B. für Seniorinnen und Senioren, Selbstständige oder Beamte und Beamtinnen.
Wir bieten exklusiv für Mitglieder eine Vielzahl kostenloser Seminare zu Themen wie Arbeitsrecht, Gesundheitspolitik, soziale Kompetenz, Jugendvertretungen, Gleichberechtigung, Betriebsratsarbeit und vieles mehr.
Versicherungen zu Vorteilskonditionen, Sparen bei Reisen und Einkaufen und weitere Angebote bietet die Mitgliederservice GmbH allen ver.di Mitgliedern.
Auf „meine ver.di“ lassen sich Mitgliedsdaten bearbeiten, die Beitragsquittung und die Mitgliederbescheinigung runter laden und direkt ausdrucken, die Gruppenplattformen zur gemeinsamen Diskussion und zur Arbeit an Dokumenten erreichen und alle Informations-Abos verwalten.